Nicht der Hund muss in die Schule, sondern der Mensch. Dieser Überzeugung ist Evangelia Sindl, Hundetrainerin und Ausbilderin von Assistenzhunde-Teams. Die Betreiberin der Hundeschule „AnyDOG“ in Worms hat Lena Kliegl aus Neuhofen und ihren Assistenzhund Happy ausgebildet und unlängst die Prüfung abgenommen.
Quellennachweis: VON KATHRIN HENTZSCHEL - Rhein-Pfalz-Kreis - 19.02.22
NEUHOFEN/WORMS. Hunde sind für viele Menschen mittlerweile vollwertige Familienmitglieder. Für Evangelia Sindl ist das in Ordnung, führt aber in ihrer täglichen Arbeit immer wieder zu den selben Problemen: „Viele Halter behandeln ihre Hunde dann auch wie einen Menschen. Und oft ist die Rangfolge im Mensch-Hund-Rudel nicht klar definiert. Um unserem Hund aber ein entspanntes Hundeleben zu ermöglichen, sind wir ihm eine souveräne Führung schuldig“, betont die Trainerin.
Führung bedeutet: Leiten und Schützen. „Versäumen wir es, die Führung zu übernehmen, so tut es der Hund. Doch dabei handelt er selten in unserem Sinne – und schon sprechen wir von Fehlverhalten“. Wer mit seinem Hund durch Sindls Schule geht, lernt also in erster Linie selbst, und zwar die Verhaltensweisen und die Körpersprache des Hundes zu erkennen und zu deuten so wie die eigene Körpersprache für den Hund verständlich einzusetzen.
Dass sie die Hundesprache drauf hat, belegen ihre zweijährige Ausbildung zur Hundetrainerin, der eine Weiterbildung zur Assistenzhundetrainerin folgte, so wie eine bundesweit anerkannte Zertifikatsprü fung durch die IHK Düsseldorf als Hundeerzieherin und Verhaltensberaterin. Eben so liegt die Erlaubnis des zuständigen Veterinäramtes vor, Hundetrainings durchzuführen. Auch wenn es ihr wichtig ist, die Grundlagen tierischen Verhaltens an alle Hundehalter weiterzugeben, schlägt ihr Herz für eine ganz besondere Art der Ausbildung. Nämlich die von Assistenzhunden.
Zu ihren „Azubis“ gehören derzeit zwei Diabetes-Warnhunde. Diese Tiere können rechtzeitig vor einer Hypo- oder Hyperglykämie warnen. Sie lernen, Schwankungen im Blutzuckerspiegel in der Atemluft ihres Besitzers zu erkennen, anzuzeigen und auch im Notfall entsprechend zu agieren. Ein Epilepsiewarnhund zählt eben falls zu ihren Schülern. Dieser lernt Anfälle frühzeitig zu erkennen und anzuzeigen, oder im Notfall Hilfe zu holen. Des weiteren bildet die 53-Jährige aktuell einen Assistenz-Begleithund LPF aus. Das steht für „lebenspraktische Fähigkeiten“, bei denen er zum Beispiel einen Menschen im Rollstuhl oder mit Handicap im Alltag unterstützt. Und ihre beiden angehenden Therapiehunde lernen gerade, bei tiergestützten Aktivitäten in Alten- oder Pflegeheimen, Palliativstationen und anderen sozialen Einrichtungen, oder Ergo-, Physio-, Arbeits- oder Psychotherapeuten zu helfen.
Dabei sind diese Hunde nicht nur anwesend, was allein schon zu einer positiven Atmosphäre beiträgt, sondern ein aktiver Teil in der Therapiearbeit mit eigenen Aufgaben. „Egal für welchen Bereich ein Assistenzhund letztendlich ausgebildet wird – das wertvollste Geschenk ist für alle Hundehalter vor allem die psychosoziale Unterstützung ihres Vierbeiners im Alltag“, betont Evangelia Sindl. Last but not least kümmert sie sich um die Ausbildung dreier Assistenzhunde PTBS. Die Lehrzeit bereits abgeschlossen und die Prüfung zum „Assistenz-Begleithund PTBS“ bestanden hat Labradorrüde Happy mit seiner Besitzerin Lena Kliegl aus Neuhofen. Kliegl leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).
Das Tückische daran ist, dass man ihr die se Art der Behinderung nicht ansieht, sie aber je derzeit die Orientierung verlieren, eine Panikattacke oder einen Flashback in der Öffentlichkeit erleiden kann. „Dank Happy ist es mir möglich, überhaupt aus dem Haus zu gehen“, sagt die 22-Jährige. „Und nachts holt er mich verlässlich aus meinen Alpträumen zurück.“
Prüfungskonzept ist wichtig.
„Auf dieses Team bin ich besonders stolz“, sagt Evangelia Sindl. „Lena trainiert sehr fleißig und lässt ihren Hund stets spüren, wie dankbar sie für seine Unterstützung ist. Gegenseitiges Vertrauen, feine Kommunikation und Teamwork – das beschreibt die bei den sehr treffend.“
Geprüft wurde beispielsweise das Rückrufverhalten von Happy und sein Verhalten gegenüber Menschen mit ungewöhnlichem Erscheinungsbild oder anderen Hunden. Dass er Fremdpersonen abblocken kann, um seiner Besitzerin die nötige Distanz zu anderen Menschen zu ermöglichen, hat der Labrador ebenfalls bewiesen. Noch gibt es keine staatlich geregelte Prüfung zum Assistenz-Begleithund. „Zwar ist im Juli letzten Jahres ein Gesetz in Kraft getreten, das unter anderem auch Ausbildung und Prüung von Assistenzhunden regeln soll, aber nach meinen Informationen wurde bis heute noch keine Durchführungsverordnung hierzu erarbeitet“, berichtet Evangelia Sindl. „Bis dahin lasse ich meine Assistenzhunde-Teams nach Ausbildungsende weiterhin durch den Assistenzhunde e.V. überprüfen.“
Seit Bestehen des gemeinnützigen Vereins Assistenzhunde e.V. Nordkirchen 2015 ist Sindl aktives Mitglied und hat am Regelwerk der theoretischen und praktischen Prüfungsinhalte mitgewirkt. Assistenzhunde-Ausbilder, denen die Qualitätssicherung wichtig ist, arbeiten hier zusammen, um mit einem aus gereiften Prüfungskonzept, in welches viele Jahre Erfahrung eingeflossen sind, für einen sinnvollen Abschluss der Assistenzhunde-Ausbildung zu sorgen. Außerdem sammelt der Verein Spenden, um Besitzern mit weniger guter finanzieller Lage die Ausbildung, die nicht wie beim Blindenführhund von den Krankenkassen übernommen wird, zu ermöglichen.
Lena Kliegl hat nun ein Zertifikat in der Tasche, das ihr eine Hundehalter-Sachprüfung und Happy einen überdurch schnittlichen Gehorsam bescheinigt. Trotzdem passiert es immer wieder, dass ihr und anderen Assistenzhunde-Teams der Zutritt zu Ladengeschäften verwehrt wird. „Laut Paragraf 12e des Behindertengleichstellungsgesetzes vom 1. Juli 2021, das die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen stärken will, darf Menschen der Zutritt mit Assistenzhund nicht verweiert werden. Es besteht somit Duldungspflicht, und ein Zutrittsverbot stellt eine Diskriminierung dar. Leider ist dies noch nicht hinlänglich bekannt, und daher Aufklärungsarbeit vonnöten“, bekräftigt Trainerin Evangelia Sindl. Zum Schluss hat sie eine Bitte an alle, die einem Assistenzhund-Team begegnen – erkennbar an der beschrifteten Decke oder Halstuch: „Bitte nicht dem menschlichen Reflex folgen und den Hund ansprechen, loben oder gar streicheln, und gegebenen falls den eigenen Hund fernhalten. Bei Kontaktaufnahme mit dem Hundehalter immer berücksichtigen: Inte resse ist schön, Neugierde störend!“
KONTAKT
AnyDOG – Mensch & Hund im Alltag, EvangeliaSindl, 67551 Worms, www.anydog-worms.de, Telefon 01578-7506561.
Der Verein Assistenzhunde e.V. ist auf Spenden angewiesen, um die Ausbildung der Hunde zu finanzieren. Infos unter: www.assistenzhunde-verein.de